Menschen-Bilder

von Annette Grundmeier


Johannes Welter ist im Atelier. Die alltäglichen Dinge und aufregenden Ereignisse sind ebenso "draußen" geblieben wie Probleme, Krisen und Freuden. Sie haben ihn berührt, leben mit ihm - aber jetzt ist er frei genug, um sich an die Arbeit zu machen: Die gesammelten und immer wieder neu erprobten Materialien liegen bereit, ebenso Papierbögen, Mal- und Druckutensilien.

aus: Begegnungen (1999)Ohne ein bestimmtes Bild oder Thema im Kopf zu haben, geht es los: Leuchtende Farblinien (Acryltuschen in der Werkgruppe "BEGEGNUNGEN") werden spontan gesetzt und dann mit einem Pinsel voll Wasser teilweise zum Fließen gebracht. Die flüssigen Bahnen und Flecken verknüpfen sich zu dichten oder lockeren Strukturen und geben plötzlich den Blick frei auf eine Gestalt, die sich in den Farben spiegelt oder aus dem Gewirr der Spuren entpuppt. Es sind Figuren in verschiedenen Positionen und Beziehungen zueinander. Manchmal durchdringt ein emotionales Ereignis oder eine menschliche Wesensart - mehr spürbar als sichtbar - das Gefüge der Linien und Flächen. Das "Motiv", das heißt der Beweggrund, kann mehr oder minder figurativ sichtbar sein.

So verhält es sich auch in den anderen hier ausgestellten Werkgruppen: Die Arbeiten auf Japanpapier machen die charakteristischen Eigenschaften von Prozess und Material besonders deutlich: Das chamoisfarbene Japanpapier ist stellenweise von gelblichem Öl durchdrungen und wirkt durchscheinend. Noch ist nicht festgelegt, ob die Oberfläche Hintergrund, Spielraum, oder selbst Gestalt wird, oder ob sie als transparente Oberfläche Einblick gewährt auf dahinter liegende Darstellungen. Die beidseitig mit der Rolle aufgetragene schwarze und weiße Druckfarbe sowie Graphitspuren geben der Gestaltung Kontur und Binnenzeichnung, Schatten und Volumen, Prägung oder Umfeld. Figurativ und assoziativ sind Landschaften, Tiere und auch vor allem Menschen zu erkennen.

aus: Dazwischen (1999)Von besonderer Kraft sind jedoch die nichtfigurativen Darstellungen von dynamischen Prozessen wie Explosionen, Geburt oder heftigen Gefühlsregungen. Die Wirkung wird durch den starken Kontrast zwischen dem harten Schwarz-Weiß-Auftrag und dem warmen, lebendigen Farbton des ölgetränkten Japanpapiers noch verstärkt. So ergibt sich auch manchmal der Eindruck eines Einblicks in die Bereiche zwischen Innerem und Äußerem, Physischem und Psychischem: "DAZWISCHEN".

Die Glasdruck-Monotypien bestehen aus zahlreichen jeweils einzigartigen Schichten der verschiedenen übereinander gelegten Drucke von der Glasplatte. Jede Schicht ist in der Intensität von Farbe und Struktur einmalig, wird von der nächsten überlagert und durchdringt sie zugleich. So entsteht das Bild als Geschichte - geschichtetes "GESCHEHEN". Manche Bilder erinnern an Höhlenmalereien oder an Wolkenformationen. Figürliche Erscheinungen bleiben schemenhaft und verschwinden oft beim Wechsel des Blickpunktes, ähnlich wie in Vexierbildern. Nie wird ein deutliches Ganzes fassbar, sondern das Sichtbare leuchtet in verschiedenen Aspekten und Szenarien auf. Die Glasdrucke gewinnen ihren Reiz gerade durch die Offenheit in Ansicht und Deutung und lassen auch den reinen Genuss der Farbwirkung zu.
aus: Geschehen (1999)
Die "MENSCHENBILDER" von Johannes Welter entwickeln sich aus zahlreichen Schichten, werden durch unterschiedliche Einwirkungen geprägt, entpuppen sich aus vielfarbigen Spuren und Strukturen - und manchmal bleiben sie unsichtbar. Dann ist es das Wehen einer flüchtigen Begegnung, das Beben einer erotischen Berührung oder das Schweigen eines Dialoges ohne Worte. Es ist immer "etwas Menschliches" ... Einfühlungsvermögen und Souveränität im Umgang mit Material und Technik bei gleichzeitiger Offenheit und Spontaneität ermöglichen das völlige Einlassen auf den Prozess, in dem sich das Bild gestaltet und das Motiv freigibt: Es sind Menschenbilder, aber keine Abbildungen von Menschen.

© 2000, A. Grundmeier M.A., Kunsthistorikerin



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