Menschen-Bilder
von Annette Grundmeier
Johannes
Welter ist im Atelier. Die alltäglichen Dinge und aufregenden Ereignisse
sind ebenso "draußen" geblieben wie Probleme, Krisen und Freuden. Sie
haben ihn berührt, leben mit ihm - aber jetzt ist er frei genug, um
sich an die Arbeit zu machen: Die gesammelten und immer wieder neu erprobten
Materialien liegen bereit, ebenso Papierbögen, Mal- und Druckutensilien.
Ohne
ein bestimmtes Bild oder Thema im Kopf zu haben, geht es los: Leuchtende
Farblinien (Acryltuschen in der Werkgruppe "BEGEGNUNGEN") werden spontan
gesetzt und dann mit einem Pinsel voll Wasser teilweise zum Fließen
gebracht. Die flüssigen Bahnen und Flecken verknüpfen sich zu dichten
oder lockeren Strukturen und geben plötzlich den Blick frei auf eine
Gestalt, die sich in den Farben spiegelt oder aus dem Gewirr der Spuren
entpuppt. Es sind Figuren in verschiedenen Positionen und Beziehungen
zueinander. Manchmal durchdringt ein emotionales Ereignis oder eine
menschliche Wesensart - mehr spürbar als sichtbar - das Gefüge der Linien
und Flächen. Das "Motiv", das heißt der Beweggrund, kann mehr oder minder
figurativ sichtbar sein.
So verhält es sich auch in den anderen hier ausgestellten Werkgruppen:
Die Arbeiten auf Japanpapier machen die charakteristischen Eigenschaften
von Prozess und Material besonders deutlich: Das chamoisfarbene Japanpapier
ist stellenweise von gelblichem Öl durchdrungen und wirkt durchscheinend.
Noch ist nicht festgelegt, ob die Oberfläche Hintergrund, Spielraum,
oder selbst Gestalt wird, oder ob sie als transparente Oberfläche Einblick
gewährt auf dahinter liegende Darstellungen. Die beidseitig mit der
Rolle aufgetragene schwarze und weiße Druckfarbe sowie Graphitspuren
geben der Gestaltung Kontur und Binnenzeichnung, Schatten und Volumen,
Prägung oder Umfeld. Figurativ und assoziativ sind Landschaften, Tiere
und auch vor allem Menschen zu erkennen.
Von
besonderer Kraft sind jedoch die nichtfigurativen Darstellungen von
dynamischen Prozessen wie Explosionen, Geburt oder heftigen Gefühlsregungen.
Die Wirkung wird durch den starken Kontrast zwischen dem harten Schwarz-Weiß-Auftrag
und dem warmen, lebendigen Farbton des ölgetränkten Japanpapiers noch
verstärkt. So ergibt sich auch manchmal der Eindruck eines Einblicks
in die Bereiche zwischen Innerem und Äußerem, Physischem und Psychischem:
"DAZWISCHEN".
Die Glasdruck-Monotypien bestehen aus zahlreichen jeweils einzigartigen
Schichten der verschiedenen übereinander gelegten Drucke von der Glasplatte.
Jede Schicht ist in der Intensität von Farbe und Struktur einmalig,
wird von der nächsten überlagert und durchdringt sie zugleich. So entsteht
das Bild als Geschichte - geschichtetes "GESCHEHEN". Manche Bilder erinnern
an Höhlenmalereien oder an Wolkenformationen. Figürliche Erscheinungen
bleiben schemenhaft und verschwinden oft beim Wechsel des Blickpunktes,
ähnlich wie in Vexierbildern. Nie wird ein deutliches Ganzes fassbar,
sondern das Sichtbare leuchtet in verschiedenen Aspekten und Szenarien
auf. Die Glasdrucke gewinnen ihren Reiz gerade durch die Offenheit in
Ansicht und Deutung und lassen auch den reinen Genuss der Farbwirkung
zu.
Die "MENSCHENBILDER" von Johannes Welter entwickeln sich aus zahlreichen
Schichten, werden durch unterschiedliche Einwirkungen geprägt, entpuppen
sich aus vielfarbigen Spuren und Strukturen - und manchmal bleiben sie
unsichtbar. Dann ist es das Wehen einer flüchtigen Begegnung, das Beben
einer erotischen Berührung oder das Schweigen eines Dialoges ohne Worte.
Es ist immer "etwas Menschliches" ... Einfühlungsvermögen und Souveränität
im Umgang mit Material und Technik bei gleichzeitiger Offenheit und
Spontaneität ermöglichen das völlige Einlassen auf den Prozess, in dem
sich das Bild gestaltet und das Motiv freigibt: Es sind Menschenbilder,
aber keine Abbildungen von Menschen.
© 2000,
A. Grundmeier M.A., Kunsthistorikerin
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