Poetische Durchdringungen Bildfindungsprozesse

Dirk Toelke zur Bilderausstellung im gypsilon 23. 9. 2005

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Im wunderbar durchlichteten Treppenraum der Firma Gypsilon hat es der Gastgeber Herr Dr. Glasmacher möglich gemacht, dass die Aachener Künstler Johannes M. Welter und Mario K. Christiani ausgewählte Arbeiten aus den letzten sechs Jahren präsentieren können. Hier haben sich zwei Künstler gefunden, die Korrespondenzen in ihren Intentionen und Stilmitteln zeigen, nicht nur darin, dass sie Hochformate bevorzugen, in flächiger Manier arbeiten oder dass sie informell abstrakte Strukturen mit figurativen Durchdringungen kombinieren, sondern dass sie sich für ein Dazwischen interessieren, wie der Titel der Ausstellung ankündigt, nicht nur ein Dazwischen zwischen Figuration und Abstraktion, zwei Polen, mit denen sich jeder zeitgenössische Künstler auseinandersetzen muss. Dazwischen kann die Betonungen eines Zwischenraumes und seiner Spannungen bedeuten, es kann die zwischenmenschliche Beziehung zum Thema haben oder eine Malweise, die in Schichten aufgebaut ist und zwischen Hintergrund und Vordergrund die Bildaussage betont oder verschleiert.

Wer als Künstler produktiv tätig wird, will sich ein Bild machen, als abstraktes Gefüge von Formen und Farben oder ein Bild von etwas, von einem Gegenstand, einer Landschaft, einer Person, einer Situation. Dies mag dann so realistisch und eingängig sein, wie ein Foto und wirkt dann leichter lesbar. Doch schon ein Foto wird in seiner Wirkung durch die Beleuchtung, die Filter, die Farbigkeit, die Wahl des Momentes oder Ausschnittes beeinflußt. Der Fotograf braucht also ein Gespür für den richtigen Augenblick, wenn er nicht inszeniert. Statt von der Zufälligkeit des richtigen Zeitpunktes abhängig zu sein wie ein Fotograf, kann ein Maler eingreifen, um etwas typisches, kompositorisch oder farblich stimmiges oder inhaltlich Anspielungsreiches aus einer realen Vorlage zu erzeugen. Er muß in jedem Fall vereinfachen und verändern. Schon kommen zur bloßen Wiedergabe künstlerische Regeln des Bildaufbaus hinzu und Anspielungen, die auf mehr Bezug nehmen, als das bloß Momentane einer Person oder Situation. Das Gewußte, als typisch Erachtete wird eingebunden. Auch in der Erinnerung überlagern sich mannigfaltige Bilder mit unterschiedlichem Gewicht. Je mehr und dichtere Kopplungen hinzukommen, um so mehr bilden diese Überlagerungen ein kompletteres und komplexeres Bild der Person oder Bildintention und erzwingen geradezu eine diffusere, unschärfere Struktur, denn nur diese läßt die persönlichen Empfindungen des Betrachters wirkungsvoller mit einfließen und schließt die Bevorzugung eines einzelnen Aspektes aus. Die mangelnde Präzision im Sinne einer realistischen Darstellung kann also bewußt eingesetzt werden, wenn der Künstler ein gedachtes neues Kombinationsbild ermalt, indem er durch Koppelung von Assoziationen, Stimmungen, Farbwerten ein Neues im eigenen Gemüt und dem des Betrachters entstehen lässt.

Diesen Prozess übertragen die beiden Künstler auch auf abstrakte Strukturen, die für sie Träger solcher Assoziationen sind. Dieser Gestaltungsakt wird bis zu einem Wiedererkennungseffekt beim Künstler weitergeführt, der etwa Fragmente von Farben und Formen und Realien koppelt, die mit Erinnerungen verbunden sind. Das Neue daran ist auch für den Künstler überraschend und ein Bildfindungsprozess, der durch eine Methode des kalkuliert eingesetzten Umgangs mit Zufallsstrukturen hervorgerufen wird. Vorgefundene Materialien, Verfremdungsprozesse bieten einen Keim für eine Bildfindung, die durch einen fortlaufenden Wechselprozess zwischen eingreifendem Gestalten und Reaktion auf das schon Erzeugte geprägt wird. Dem Künstler obliegt die Wahl der Mittel und die Notwendigkeit, diesen Prozess zum richtigen Zeitpunkt zu beenden. Diese kreative Nutzung des Zufalls machten sich schon die Surrealisten zu Nutze, um somit der damals neu entdeckten Wunderwelt der Psyche Bilder und Wahrheiten abzulauschen und zu entreißen. Das Bildmaterial dieser beiden Künstler erforscht hingegen weniger inwendige Traumbilder, als Strukturen, die zwischen Bild und Betrachter Wechselbeziehungen erzeugen, aufstören und anziehen, irritieren und faszinieren und ohne überlieferten kulturellen Kontext auskommen wollen, aber aus Erinnerungen oder einem realen Bezug erwachsen. In der Abweichung liegt das Neue. Im weiten Feld der Abstraktion ist es beileibe nicht leicht, neue Bildformen, Techniken oder Strukturen zu finden, die nicht banal, langweilig oder bereits bekannt sind. Das ist den beiden Künstlern gelungen, die mit viel Phantasie und ästhetischem Gespür auf der Suche sind und sich durch ihre Bildfindungen auch selbst immer wieder überraschen lassen können, die beide, um einen Slogan zu finden Loslegen zum Bloßlegen. Während Johannes Welter neue Bildformen in einem aktiven Prozess provoziert und durch Einwirkungen und technische Experimente hervorlocken möchte, ist Mario Christiani eher ein Findender, der mit wachem Gespür für Strukturen in Fundstücken eine Erinnerung entdeckt, die er gestalterisch erweckt und betont. Johannes Welter erkundet in immer neuen Experimenten die transparente Durchdringung von Formen, den Grenzbereich zwischen Figuration und Abstraktion. Die monochromen Multitypien mit ihrem wolkigen Gefüge und musikalisch klingenden Titeln, die als mehrfach übereinander gelagerte Abklatschbilder von Glasplatten entstanden sind, auf die direkt aus der Flasche oder mit Farbrolle in beschwingter Konzentration, also weniger impulsiv, gezügelt Farbe aufgebracht wurde, sind maßgeblich durch organische Linienführungen gekennzeichnet. Der vertikale Schichtenaufbau einer zweiten Gruppe ist durch kalligraphisch tänzelnde Formen geprägt.

Ab 2001 entstanden die virtuhaptischen Porträts. Ein Porträt und eine Landschaft wurden als digitales Bild überlagert und anschließend durch verfremdende Filter und Farbanreicherung am Computer überarbeitet, bis keine Stelle mehr durch Hinweise auf Material, durch Form oder Farbe herausstach. Die virtuell erstellten Ausdrucke wurden anschließend haptisch, also mechanisch und chemisch bearbeitet. Durch erneutes Scannen und Einbringen neuer Ebenen ließ sich dieser Vorgang weiterführen. Der kühlen, technisch erstellten Vorlage wurde durch ein solches flachreliefiertes Profil und den Pinselduktus eine intime, persönliche und emotionale Handschrift hinzugefügt. Diese Art der Gestaltung eines Porträts unter größtmöglicher Absehung von physiognomischen Merkmalen soll dennoch die Individualität eines Gegenübers spüren lassen, allerdings als Wirkung eines zwischenmenschlichen Kontaktes zwischen Porträtiertem und Künstler.Die unsinnlich glatte digitale Fläche, handfest analog bearbeitet, führt zu neuen poetischen Durchdringungen, die in kleinformatigen Clusterbildern ab 2003 weiterentwickelt werden. Mit sicherem Gefühl für Farbwirkungen und einem ebenso sicheren Gefühl fürs Aufhören, für das Beenden eines Prozesses von Hinzufügen und Überarbeiten gelingen Johannes Welter vor allem in seinen letzten querformatigen Aquarellen mit farbigem Sand präzise gesetzte Strukturen mit wunderbar fluiden Gefügen. Da stapeln sich mit fahlem Leuchten Formen, die einen Innenraum kennzeichnen oder ein geflügeltes Wesen und werden zu einem konkretisierten Fluidum, zu einer stabilen Vielfalt.

Bei beiden Künstlern zeigt sich die Fähigkeit, vage, nie scharfkonturierte Formen zu stabilen Bildfeldern werden zu lassen, die nicht als beliebiger Ausschnitt aus einem Farbkosmos wirken, sondern als konstruktiv gesetzte und daher geschichtete Formen, was man an dem gemäßigten Formkanon sehen kann, der von durch Rolle, Quast oder Spachtel erzeugten rechteckigen Konturen lebt.

Auch Mario K. Christiani gelingt es, durch die informellen Überarbeitungen seiner Werke mit Graphitpulver, Spannlack, Spachtelmasse oder Sprühfarben einen rohen Charme und eine unsentimentale Sinnlichkeit der Oberfläche und der Malerei zu erreichen, die zusätzliche assoziative Wirkungsmöglichkeiten auslotet, die vor allem Anmutungen von längst vergangenen Zeiten erzeugen, in denen die Vergangenheit dienstbar wird, zumindest als Retrostil. Dazu trägt die ausgeblichene Farbgebung bei, ohne dabei einer gewissen Heiterkeit zu entbehren. Er findet Formen mit Ausdrucksqualitäten durch waches Entdecken von Fundstücken, die als Trägermaterial dienen können, wie etwa die Fensterrollos oder durch ein auslesendes Auffinden von Formen im Werkprozess. Fragmente und Einzelspuren bieten ihm den Auslöser für einen kontinuierlichen Wechsel von Auftragen und Entfernen bis eine Art Wiedererkennungseffekt eintritt und eine gewünschte, aber vorher nicht gekannter Wirkung eintritt, bis also in einer fremden Struktur etwas bekanntes aufleuchtet. Die Fragmentierung der Formen selbst dient ihm als Zeichen für eine aus Splittern und Einzelelementen sich ständig neu zusammensetzende Erinnerung. Das Erforschen der Erinnerung mag auch die zurückhaltende Farbigkeit im Duktus der Endfünfziger Jahre, quasi als farbliche Vergangenheitsform zu Tage gebracht haben. In den neueren Arbeiten dringt Gegenwärtiges durch grelle Sprühfarben in diese Farbwelten ein. Auf Gegenstände und Figuren verzichtet auch Mario Christiani keineswegs, aber auch er unterzieht die Formen einer strukturierenden Entreicherung. Die formal austarierten Phantasiebilder mit Architekturen, Landschaftstorsi und Körperlichkeiten, die mit glimmender und wallender Struktur zu interessanten und gezügelten Formaufwallungen gerinnen, sind jedoch auch bei ihm nicht expressiv, sondern entstehen mit Bedacht. Seit 2002 entstanden sowohl kolorierte Drucke auf Kunststofffolie, von der nur 2-3 Abzüge möglich sind als auch viele kleinformatige Bildgruppen auf denen figürliche Anmutungen mit Kreide nachbearbeitet und mit ungefügen Rändern in die Fläche gesetzt werden. Mit poetischer Rohheit in der Oberflächenwirkung gestaltet Mario Christiani seine subtilen Strukturen in einem geduldigen Freilegungsprozess, er wetzt seine Bilder hervor.

© Dr. Dirk Toelke, Kunstgeschichte, Aachen



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